Hans Arp

Der große Sadist mit allen Schikanen

 

Vor seinem riesigen Fenster, hoch wie ein Kathedralenfenster, bebt der große Sadist mit allen Schikanen wie ein elektrischer Darm, der gefüllt ist mit Nichtsgummi. Der große Sadist mit allen Schikanen ist splitternackt und mit Phospor bestrichen, was ihn dekorativ und schauerlich macht. Sowohl seine Augen als auch sein langes Frauenhaar sind weiß wie gestriegelte Luft. Sein Antlitz ist stolz und erbarmungslos wie bei allen echten, stilisierten, patentierten großen Sadisten, die Anspruch auf eine Staatsrente haben. Der große Sadist mit allen Schikanen verschmähte es, seine parfümierte Zeit im verblichenen Gras zu verzehren, die rosaweißen Handschuhe derer zu tragen, die ihr Lösegeld in einer Sänfte aus verdorbenem Licht transportieren. Er bebt wie ein elektrischer Darm, der gefüllt ist mit Nichtsgummi, wie ich sagte, und ich sage es nochmals und werde es so oft, wie es nötig ist, sagen. Er ist begierig, mit seiner Beschäftigung fortzufahren, die ernst oder otto ist – oder wie Sie es nennen wollen. Schon treffen seine Domestiken mit Krokodilen, Großmüttern, Dandies, Flugzeugen, Fliegen etc. ein und stellen das alles vor dem großen Fenster ab.

Voll teuflischem, bezahltem Ungestüm, mit dem Freudengeheul eines fensterstürzlerischen Tirolers, der um einen See aus altem Maschinenöl tanzt, stürzt er sich auf die zusammengetragenen Gegenstände und wirft sie aus dem majestätischen Fenster des herrschaftlichen Gebäudes. Es ist sein Lebensinhalt, alles Bestehende aus dem Fenster zu werfen. Ganze lebende Elefanten schmeißt er hinaus. „Coin, coin, coin“, flehen die tapferen, aber erschrockenen Elefanten. Der große Sadist mit allen Schikanen hält nicht inne in seinem ehrfurchtgebietenden Ungestüm. Alles, was seine Diener tot oder lebend, süß oder salzig, schwer oder leicht für ihn herschleppen, wirft er zum Fenster hinaus: Zigarren, Kriegsmarinen, Wohnungen, Eisenbahnen, Milchkaffee, Sex-Appeals, Häuser, Pilze etc. Das Fenster liegt so hoch, daß alle Gegenstände sich nach ihrem Sturz in Apfelsinenmarmelade verwandeln, die wie von einem Fliegenschwarm von Milliarden kleinen Kindern mit ihren kleinen Mündern aufgeleckt wird. Die kleinen Kinder klatschen fröhlich in ihre kleinen Hände und schreien „Marmelade, Marmelade, Marmelade“ zum Fenster des großen Sadisten mit allen Schikanen hinauf. Und pausenlos wirft er mit aller Kraft Klaviere, Zeppeline, Denkmäler, Diplomaten etc. aus dem Fenster. Er hat Schaum vor dem Mund, er schwitzt, er knirscht mit den Zähnen und ist sich darüber im Klaren, daß er sich selbst übertreffen und seinem bereits unfaßbaren Werk die Krone aufsetzen muß. Da er nichts mehr zur Hand hat, reißt er sich seine weißen Haare, seine Hände und Füße aus, schmeißt sie zum Fenster hinaus und wirft schließlich auch noch, einen gräßlichen Schrei ausstoßend, all das aus dem Fenster, was von ihm noch übrig ist, wobei er sich nach seinem Sturz zur großen Freude der Milliarden kleinen Kinder wie alle anderen Gegenstände in Apfelsinenmarmelade verwandelt.

1942, aus: Das surrealistische Gedicht, hg. von Heribert Becker, Edouard Jaguer und Petr Král, Frankfurt / Main 1985.